Unsagbar ängstliche, traurige Augen! (Mareen Alburg Duncker/Gedenkstätte Bernburg) – für Alfred

Zwei intensive Arbeitszyklen zum Gedenkschmuck sind beendet und ein dritter hat begonnen. Dazu gehört für mich als erstes das Lesen und Verstehen der 27seitigen Krankenakte von Alfred Mühlhausen. Seit einigen Wochen setze ich mich mit dem Leben dieses Menschen auseinander. Die Akte ist aus der Sütterlinschrift übersetzt und so sind die Daten auch mir zugänglich. Einige widersprüchliche Aussagen zu Vater und Mutter sind mir aufgefallen, die ich mit der Gedenkstätte abklären muss.

Kopie aus dem Bundesarchiv: Alfred Mühlhausen, aufgenommen am 22.05.1916

Alfred Mühlhausen wird am 28. Februar 1941 im Kellergeschoss der „Euthanasie“-Anstalt in Bernburg vergast. Erst 2017 erfahren die Nachfahren seiner Geschwister von dessen Schicksal.
Als zweites von sieben Kindern einer in Armut lebenden Bernburger Familie arbeitete er seit seinem 14. Lebensjahr im Kalkbruch nördlich von Bernburg. Er sorgte somit für die Familie. Sein Leben veränderte sich schlagartig im 1. Weltkrieg mit dem Einzug an die Front – nach Russland. An Gefechten hat er laut Unterlagen nicht teilgenommen. Was er dort gesehen und erlebt hat bleibt offen: der bis dahin gesunde, kräftige Mann verstummt im Alter von 28 Jahren. Schwer traumatisiert und depressiv beginnt für ihn ein Leben „da drinnen“ mit der Diagnose Katatonie. Insgesamt verbringt Alfred Mühlhausen 24 Jahre in Anstalten ohne therapeutische Gespräche oder medikamentöse Behandlung. Er bleibt apathisch, stumm und in sich gekehrt.
Das Foto ist am Tag seiner Verlegung in die Landesheil- und Pflegeanstalt Bernburg aufgenommen.



Mit ersten Überlegungen und Entwürfen für meine praktische Arbeit zu Alfred Mühlhausen habe ich nun begonnen. Der Gedenkschmuck wird innen hohl gearbeitet sein und somit ein Behältnis für den Kalkstein, den Alfred 14 Jahre lang abgebaut hat, darstellen. Eine Behausung für dieses kleine Stück Heimat wird entstehen.
Die Verstummung, die vermutlich durch ein traumatisierendes Erlebnis auf dem Weg an die Front in Russland ausgelöst wurde, möchte ich ebenfalls umsetzen. Buchstaben, die die Wand wölben, durchbrechen wollen, werden ins Material punziert. Sie scheinen im Inneren gefangen zu sein, können nicht mehr nach außen dringen. Symbolisch möchte ich damit den Gemütszustand des jungen Mannes darstellen.

ein Eimer voll Staub
Foto: Mareen Alburg Duncker

Gestern war ich im Norden von Bernburg bei einer der vielen Firmen im Kalksteinbruch. Seit 130 Jahren werden hier Kalkstein und andere Mineralien abgebaut. Auch Alfred hat hier gearbeitet. Telefonisch konnte ich hier niemanden erreichen und so bin ich einem Radlader entgegen gefahren. Der Fahrer fand mein Anliegen sehr interessant und schickte mich die Halde runter. Hier gab es den feinen Kalkstein, den ich suchte. Der Werksleiter war ebenfalls wohlwollend und füllte mir mein Eimerchen. Das Material hatte ich mir viel heller vorgestellt, aber mir wurde versichert, daß es Kalkstein ist.
Vollgestaubt und glücklich bin ich gefahren und habe meinen Schatz ins Atelier gebracht.

Kalksteinbruch im Norden von Bernburg Foto: Mareen Alburg Duncker

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